Gedankensplitter

Diagnosen – Zwischen Wahrheit, Stigma und blinden Flecken

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Einleitung: Diagnosen als zweischneidiges Schwert

Psychiatrische – also auch die klassischen psychischen Störungsbilder – können hilfreich sein. Sie können Türen zu Behandlung und Unterstützung öffnen. Aber sie können genauso gut einengen, stigmatisieren oder in die Irre führen.
Sie sind nötig – aber oft auch rigide Etiketten, die der individuellen Realität nicht gerecht werden.

In diesem Beitrag möchte ich meine Diagnosen benennen und meinen Weg durch das Labyrinth psychiatrischer Klassifikationen teilen. Später werde ich einzelne Themen in separaten Artikeln vertiefen – nach dem Motto: Grab tiefer.


Mein Weg zu meinen Diagnosen

Ich bin seit 2004 in Therapie – mit einigen Unterbrüchen. In der ambulanten Psychotherapie werden Diagnosen meist nicht thematisiert, vermutlich um zu vermeiden. Mir selbst wurden sie nie explizit mitgeteilt.
Ich weiss nur davon, weil ich mir seit jeher alle Berichte und Gutachten kopieren liess.

Ein Muster, das sich über die Jahre zeigte: Diagnosen sind Momentaufnahmen. Sie verändern sich. Manche verschwinden aus den Akten, neue tauchen auf. Nur das Gesamtbild erzählt die ganze Geschichte.


Meine Diagnosen im zeitlichen Verlauf

Dazu gab es Phasen in meinem Leben, in denen ich viel Alkohol getrunken habe. Eine Suchtthematik wurde nie aufgebracht, und ich glaube auch nicht, dass es eine echte Abhängigkeit war – eher ein Bewältigungsversuch.


Was davon passt – und was nicht?

Ich habe jedes einzelne Merkmal meiner Diagnosen analysiert und für mich bewertet. Was ich dabei festgestellt habe: Einiges passt. Anderes überhaupt nicht.

Ein Beispiel: Die Borderline-Diagnose. Ich habe viele Menschen mit Borderline erlebt – fast alle zeigten dieses typische Schwarz-Weiss-Denken, Idealisierung und Abwertung. Das ist mir vollkommen fremd.
Schwarz-Weiss-Denken wäre eine Beleidigung für meinen Verstand. Ich sehe Menschen nicht als gut oder böse – sie sind beides. Und genau das macht sie für mich so unberechenbar.

Und Unberechenbarkeit ist meine grösste .

Interessanterweise erkenne ich bei mir immer wieder schizoide Züge. Keine Therapeutin hat das je thematisiert. Wahrscheinlich, weil ich in der Therapie sehr offen kommuniziere – während klassische Schizoide eher zurückhaltend und distanziert sind.
Hier zeigt sich ein blinder Fleck der Diagnostik: Diagnosen hängen nicht nur von Symptomen ab – sondern auch davon, wie man sich im therapeutischen Setting präsentiert.


Warum hinterfragen so wenige ihre Diagnose?

Was mich immer wieder erstaunt – manchmal schockiert – ist, wie wenig sich viele psychisch kranke Menschen mit ihrer eigenen Diagnose auseinandersetzen.
Ich habe Menschen kennengelernt, die mit ihrem Borderline-Etikett kokettieren, ohne zu verstehen, was es eigentlich bedeutet.

Diagnosen werden oft unkritisch angenommen – nicht als Arbeitshypothese, sondern als Identitätsmarker.

Dabei sind psychiatrische Diagnosen Werkzeuge. Keine Schubladen.
Und doch werden sie oft als Endpunkt gesehen – statt als Ausgangspunkt.
Ich mich: Gibt es da draussen noch andere, die ihre Diagnosen so kritisch hinterfragen wie ich?


Fazit: Mein Weg geht weiter

Dieser Beitrag ist erst der Anfang.
In zukünftigen Artikeln werde ich einzelne Diagnosen genauer beleuchten – und was sie für mich bedeuten. Denn Diagnosen sind mehr als medizinische Klassifikationen.
Sie prägen, wie wir uns selbst sehen – und wie wir gesehen werden.

Aber das letzte Wort über meine Identität werde immer ich selbst sprechen.

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