Gedankensplitter
Diagnosen – Zwischen Wahrheit, Stigma und blinden Flecken
Einleitung: Diagnosen als zweischneidiges Schwert
Psychiatrische Diagnosen – also auch die klassischen psychischen Störungsbilder – können hilfreich sein. Sie können Türen zu Behandlung und Unterstützung öffnen. Aber sie können genauso gut einengen, stigmatisieren oder in die Irre führen.
Sie sind nötig – aber oft auch rigide Etiketten, die der individuellen Realität nicht gerecht werden.
In diesem Beitrag möchte ich meine Diagnosen benennen und meinen Weg durch das Labyrinth psychiatrischer Klassifikationen teilen. Später werde ich einzelne Themen in separaten Artikeln vertiefen – nach dem Motto: Grab tiefer.
Mein Weg zu meinen Diagnosen
Ich bin seit 2004 in Therapie – mit einigen Unterbrüchen. In der ambulanten Psychotherapie werden Diagnosen meist nicht thematisiert, vermutlich um Stigmatisierung zu vermeiden. Mir selbst wurden sie nie explizit mitgeteilt.
Ich weiss nur davon, weil ich mir seit jeher alle Berichte und Gutachten kopieren liess.
Ein Muster, das sich über die Jahre zeigte: Diagnosen sind Momentaufnahmen. Sie verändern sich. Manche verschwinden aus den Akten, neue tauchen auf. Nur das Gesamtbild erzählt die ganze Geschichte.
Meine Diagnosen im zeitlichen Verlauf
- 2004: Emotional instabile Persönlichkeitsstörung – meine erste Diagnose aus der Tagesklinik. Verschwand über die Jahre nach und nach aus den Akten.
- Regelmässig auftauchend: Chronisch rezidivierende Depression – passt definitiv, da ich mehrere leichte bis schwere depressive Episoden hatte.
- 2019: Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung mit abhängigen Zügen – laut forensisch-psychiatrischem Gutachten des Kantons Solothurn.
- Generalisierte Angststörung – wurde phasenweise erwähnt, vor allem in Zeiten starker sozialer Rückzüge.
- Chronifizierte posttraumatische Belastungsstörung – tauchte in Arztberichten auf, wurde aber nie offiziell diagnostiziert.
Dazu gab es Phasen in meinem Leben, in denen ich viel Alkohol getrunken habe. Eine Suchtthematik wurde nie aufgebracht, und ich glaube auch nicht, dass es eine echte Abhängigkeit war – eher ein Bewältigungsversuch.
Was davon passt – und was nicht?
Ich habe jedes einzelne Merkmal meiner Diagnosen analysiert und für mich bewertet. Was ich dabei festgestellt habe: Einiges passt. Anderes überhaupt nicht.
Ein Beispiel: Die Borderline-Diagnose. Ich habe viele Menschen mit Borderline erlebt – fast alle zeigten dieses typische Schwarz-Weiss-Denken, Idealisierung und Abwertung. Das ist mir vollkommen fremd.
Schwarz-Weiss-Denken wäre eine Beleidigung für meinen Verstand. Ich sehe Menschen nicht als gut oder böse – sie sind beides. Und genau das macht sie für mich so unberechenbar.
Und Unberechenbarkeit ist meine grösste Angst.
Interessanterweise erkenne ich bei mir immer wieder schizoide Züge. Keine Therapeutin hat das je thematisiert. Wahrscheinlich, weil ich in der Therapie sehr offen kommuniziere – während klassische Schizoide eher zurückhaltend und distanziert sind.
Hier zeigt sich ein blinder Fleck der Diagnostik: Diagnosen hängen nicht nur von Symptomen ab – sondern auch davon, wie man sich im therapeutischen Setting präsentiert.
Warum hinterfragen so wenige ihre Diagnose?
Was mich immer wieder erstaunt – manchmal schockiert – ist, wie wenig sich viele psychisch kranke Menschen mit ihrer eigenen Diagnose auseinandersetzen.
Ich habe Menschen kennengelernt, die mit ihrem Borderline-Etikett kokettieren, ohne zu verstehen, was es eigentlich bedeutet.
Diagnosen werden oft unkritisch angenommen – nicht als Arbeitshypothese, sondern als Identitätsmarker.
Dabei sind psychiatrische Diagnosen Werkzeuge. Keine Schubladen.
Und doch werden sie oft als Endpunkt gesehen – statt als Ausgangspunkt.
Ich frage mich: Gibt es da draussen noch andere, die ihre Diagnosen so kritisch hinterfragen wie ich?
Fazit: Mein Weg geht weiter
Dieser Beitrag ist erst der Anfang.
In zukünftigen Artikeln werde ich einzelne Diagnosen genauer beleuchten – und was sie für mich bedeuten. Denn Diagnosen sind mehr als medizinische Klassifikationen.
Sie prägen, wie wir uns selbst sehen – und wie wir gesehen werden.
Aber das letzte Wort über meine Identität werde immer ich selbst sprechen.
Pingback: Unter Verdacht: Partner von Menschen mit PPS – Alien whispers
Pingback: Charaktere mit Persönlichkeitsstörung im Film – Alien whispers
Pingback: Eric mit C (nicht zu verwechseln mit Erik mit K) – Alien whispers
Pingback: Lea: „Ich hätte nie gedacht, dass du Gefühle hast.“ – Alien whispers
Pingback: Doppelbotschaft – No-Win-Situationen – Shabaka
Pingback: Eric mit C (nicht zu verwechseln mit Erik mit K) – Shabaka
Pingback: Charaktere mit Persönlichkeitsstörung im Film – Shabaka
Pingback: Psychische Gewalt: Drohen – Shabaka
Pingback: Klinikleben als Lebensvision – Shabaka
Pingback: Ted Bundy: Psychisch gestört – Shabaka
Pingback: Wenn die Wahrheit einschlägt – Eine Woche voller Offenbarungen – Shabaka
Pingback: Lea: „Ich hätte nie gedacht, dass du Gefühle hast.“ – Shabaka
Pingback: Unter Verdacht: Toxische Eifersucht – Alien whispers