Zwischen Clankonflikten und Telefonzellen: Wie ich mich in Akim verliebte
Manche Geschichten wirken so surreal, dass sie direkt aus einem Roman zu stammen scheinen. Meine erste Begegnung mit Akim ist eine solche Geschichte bikultureller Liebe. Alles begann mit einem Clankonflikt, bei dem es um nichts Geringeres als mich ging. In Tunesien, inmitten der malerischen Kulisse von Souks und Medinas, wurde ich plötzlich zum Auslöser eines Streits, der eine ganze Grossfamilie entzweite. Es kam mir absurd vor – um meine Gunst zu kämpfen –, aber es war todernst.
Plötzlich durfte ich das Haus nicht mehr allein verlassen. Immer in Begleitung eines der Marouani-Söhne oder Cousins von der „richtigen Seite“ bewegte ich mich zwischen Marktständen und Hinterzimmern. Es war eine seltsame Zeit: Die Strassen waren lebendig, aber auch voller Gefahren. Meine Beschützer zogen mich oft schnell aus der Menge heraus, wenn sie Mitglieder des rivalisierenden Zweigs der Familie entdeckten. Oft sass ich im hinteren Teil kleiner Kunsthandwerksläden und bekam Tee serviert, während draussen die Spannung wie statische Aufladung in der Luft knisterte.

Mitten in diesem Chaos traf ich Akim. Er sprach kaum Französisch und ich konnte kein Arabisch. Unsere Unterhaltungen bestanden aus Gesten, Lächeln und gelegentlichem Lachen – denn Akim tat sein Bestes, um mich nicht nur zu beschützen, sondern auch zu unterhalten. Sein schüchternes Lächeln und sein jungenhafter Charme eroberten mein Herz schneller, als ich zugeben wollte. Während draussen die Fäuste flogen, verliebte ich mich.
Doch in einer Kultur, in der Moral und Ehre die Regeln diktieren, war das alles andere als einfach. Unverheiratete Paare konnten keine Zeit allein miteinander verbringen. Als ich mich Brahim, Akims älterem Bruder, anvertraute, nahm er die Sache selbst in die Hand. Am nächsten Tag organisierten die Brüder einen Ausflug nach Tabarka. Wir quetschten uns in ein Louage – ein Sammeltaxi – und fuhren durch die Berge von Ain Draham zum Meer. Es wurde gelacht, gescherzt und verstohlen kleine Berührungen ausgetauscht. Akim, sonst die Ruhe selbst, war sichtlich nervös – seine dunkle Haut glühte rot vor Verlegenheit. In der Louage hielten wir auf dem Rücksitz heimlich und verstohlen Händchen. In diesem Moment war ich im siebten Himmel.
Sex spielte in unserer Beziehung zunächst keine Rolle. Zum ersten Mal musste ich mir Aufmerksamkeit und Zuneigung nicht durch Körperlichkeit verdienen. Diese Liebe basierte auf etwas anderem, etwas Unschuldigerem. Doch als mein erster Aufenthalt in Tunesien zu Ende ging, tauchte die grosse Frage auf: Würde Akims Familie unsere Verbindung akzeptieren? Sein Vater, der Patriarch, musste seinen Segen geben. Es war ein Moment voller Spannung und Symbolik. Als Sidi mich fragte, ob ich mir eine Heirat vorstellen könnte, wusste ich, dass es um mehr als nur Papiere ging. Es ging um Ehre.
Zurück in der Schweiz geriet ich in einen emotionalen Wirbelwind. Ich weinte den ganzen Heimflug über. Tagsüber versuchte ich, mich auf die Handelsschule zu konzentrieren, aber mein Kopf und mein Herz waren bei Akim. Unsere abendlichen Telefongespräche wurden zum Höhepunkt meines Tages. Ich ging zu einer Telefonzelle, während er ein PubliPhone-Café in Jendouba besuchte. Es war teuer und unbequem, aber es war alles, was wir hatten. Mein Taschengeld verschwand in den unersättlichen Münzschlitzen des Münzfernsprechers, aber das war mir egal. Jede Minute, in der ich seine Stimme hörte, war unbezahlbar.
Was mich damals antrieb, war eine Entschlossenheit, die ich kaum in Worte fassen kann. Je mehr Hindernisse diese Beziehung mit sich brachte, desto härter kämpfte ich dafür. Vielleicht war es gerade diese Herausforderung, die meine Verliebtheit befeuerte. Doch heute weiss ich, dass die kulturellen Unterschiede, die uns zunächst verbanden, uns irgendwann auseinanderreissen würden. Damals zählte jedoch nur eines: Akim war mein Habibi, mein Herz, und ich war bereit, alles zu geben, um mit ihm zusammen zu sein.
Manchmal frage ich mich, ob ich diese Zeit wirklich erlebt habe oder ob sie Teil eines Romans ist, von dem ich nur geträumt habe. Aber dann denke ich an die Telefonzellen, das Louage, das erste Lächeln, das erste Mal Händchenhalten – und ich weiss: Es war real. Es war meine Geschichte.